Decolonize Society – Fight Racism

2011 organisierte sich eine Gruppe von Studierenden und Doktorand*innen unter dem Verein Engagierte Wissenschaft e.V. in Leipzig, um Erkenntnisse aus postkolonialen akademischen Debatten und aktivistische Kritik zugänglich zu machen. Seitdem engagieren wir uns als ehrenamtliche Arbeitsgruppe Leipzig Postkolonial und machen das koloniale Erbe sowie postkoloniale Perspektiven durch öffentliche Bildungsarbeit sichtbar. Wir sind vor Ort mit anderen aktivistischen Gruppen sowie mit wissenschaftlichen und kulturellen Institutionen vernetzt und seit 2018 Teil des bundesweiten Decolonize-Netzwerk.

Was bedeutet postkolonial für uns?

Unter dem Begriff Postkolonialität verstehen wir nicht nur die zeitliche Phase nach der historischen Epoche des Kolonialismus. Vielmehr bestehen koloniale Denk- und Ordnungsmuster fort. Sie manifestieren sich durch ökonomische Ungleichverhältnisse, kulturelle Hierarchien und kolonialrassistischen Praktiken. Wir wollen die eurozentrischen und rassistischen Perspektiven dieser Denkmuster und Privilegien und deren tatsächlichen materiellen Auswirkungen auf Mensch und Natur hinterfragen.

In unserer Arbeit beschäftigen wir uns mit diesen historisch geprägten Strukturen und deren Auswirkungen in der Gegenwart. Wir setzen uns mit der Rolle Leipzigs und Leipziger Akteur*innen in der Geschichte des deutschen Kolonialismus auseinander und zeigen deren Nachwirkungen in der Gesellschaft, im städtischen Raum und in Institutionen wie zum Beispiel öffentlichen Museen. Weiterhin thematisieren wir die fortwährende ungerechte Verteilung von Reichtum, Ressourcen und politischem Einfluss aufgrund kolonialer Kontinuitäten. Hierfür nutzen wir den Begriff der Kolonialität, der es erlaubt, heutige Machtverhältnisse, die im Kolonialismus entstanden sind, im Zusammenhang mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem zu analysieren, für das die soziale Klassifikation von Menschen um das Konstrukt der Rasse genutzt wurde.

Warum gibt es uns?          

Bis noch vor einigen Jahren waren die Nachwirkungen des europäischen Kolonialismus in Deutschland weitestgehend unkommentiert und unaufgearbeitet. Unter dem Druck von zivilgesellschaftlichen, insbesondere migrantischen und diasporischen Initiativen wie u.A. der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, und angesichts von Rückforderungen von Gebeinen und Kulturgütern aus den ehemaligen Kolonien entsteht gesamtgesellschaftlich und politisch mehr und mehr ein Bewusstsein für die Dringlichkeit einer Aufarbeitung der Kolonialgeschichte.

Um auf lokaler Ebene über die Kolonialgeschichte zu informieren und die vielen Verschränkungen von ehemaligen Kolonien und Kolonialmächten deutlich zu machen, haben sich in vielen deutschen Städten postkoloniale oder dekoloniale Gruppen gebildet. Auf Bundesebene sind diese vernetzt und fordern die Dekolonisierung der Erinnerungskultur, beispielsweise durch die Sichtbarmachung der Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland und ihres Widerstandes gegen Rassismus. Die deutsche und europäische Kolonialgeschichte weist auch in Leipzig Spuren auf und wirkt in der Stadtgesellschaft nach. In Ermangelung eines stadtweiten Gedenkkonzeptes, das die koloniale Geschichte der Leipziger Wirtschaft, Museen, Wissenschaft, Mission, des Zoos und anderer Institutionen kritisch aufarbeitet, bemühen wir uns als zivilgesellschaftliche Arbeitsgruppe, Erinnerungsorte zu kommentieren und zu beleben.

Wofür setzen wir uns ein?          

Wir setzen uns dafür ein, dass Leipziger Institutionen wie der Leipziger Zoo ihre koloniale Vergangenheit offenlegen. Wir schreiben offene Briefe und Presseerklärungen, sind in den lokalen Medien vertreten, sprechen auf Demonstrationen, organisieren Veranstaltungen und Ausstellungen, halten Workshops ab und führen postkoloniale Stadtrundgänge durch. Wir fördern aktiv die Leipziger Erinnerungskultur, indem wir Mahnwachen und Gedenkveranstaltungen organisieren, um die Geschichte des antikolonialen Widerstandes darzustellen und ein ehrendes Gedenken and die Opfer von Kolonialismus und Rassismus möglich zu machen.

Wir setzten uns immer wieder Schwerpunktthemen: 2019 organisierten wir eine Veranstaltungsreihe zu Rückgabeprozessen von menschlichen Gebeinen und Kulturgütern, die während der Kolonialzeit gewaltsam angeeignet und in sächsische Institutionen gebracht wurden. Wir fordern weitere Rückgaben. Wir unterstützen die Reparationsforderungen der Ovaherero und Nama für den von der deutschen Kolonialmacht begangenen Völkermord in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia (1904-1908). Dafür haben wir Mahnwachen und Podiumsdiskussionen mit namibischen Aktivist*innen durchgeführt.

Wie sind wir positioniert?          

Die Zusammensetzung unserer Gruppe ist nicht starr und verändert sich beständig. Jedoch besteht seit der Gründung Leipzig Postkolonials die Gruppe hauptsächlich aus weiß positionierten Menschen, ist zum großen Teil weiblich und in einem akademischen Spektrum verortet. Unsere Erfahrungen und Perspektiven sind durch unsere Positionierungen geprägt. In einem Prozess von kritischer Selbstreflexion und externer Beratung überprüfen wir unsere Arbeit auf eigene Rassismen und Legitimationen, um kritische, machtsensible Bildungs- und Bündnisarbeit zu leisten.

Wir freuen uns über Anfragen, Kommentare, Kritik und Unterstützung bei unserer Arbeit!